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S’Mähl vo da: Inszenierung der Regionalität im Quartierladen

S’Mähl vo da:
Inszenierung der Regionalität im Quartierladen

von Julia Zuber

«Ich bin brutal regional», so liess der im Entlebuch tätige Sterne-Koch Stefan Wiesner in einem Interview in der Oktoberausgabe des SBB-Heftes Via verlauten. Auf die Frage, wo er die Zutaten für seine eigenwilligen Kochkreationen finde, antwortet Wiesner: «Gleich hier in der Umgebung. Ich streife mit offenen Augen über die Wiesen und durch die Wälder und sammle ein, was ich brauche. Was ich nicht finde, kaufe ich, wenn immer möglich, in der Region ein» (Brühlmann 2018, 24). Wer weniger Sammlerinstinkt hat und sich beim Pilze sammeln nicht auf die eigenen Kenntnisse verlassen möchte, kann sich heute relativ einfach in Supermärkten und kleineren Läden mit regionalen Produkten eindecken. Besonders in Bio-Quartierläden findet sich ein breites Angebot an Lebensmitteln, die versprechen, aus der Region zu sein. Die Vorstellung von Regionalität hat historische Wurzeln und die Wirkung des Begriffes beruht auf Vertrauensnarrativen. Welche Rolle dabei die Labels und Verpackungen spielen, lässt sich exemplarisch im Chornlade in Zürich Wiedikon beobachten. Über diesbezügliche Erkenntnisse möchte ich im Folgenden berichten.

Einleitung
Region ist für die Migros so wichtig, dass sie sogar eigens ein Label dafür ins Leben gerufen hat (vgl. Anm. 1). Region lässt sich also konsumieren. Region ist sogar sehr geniessbar und gesund. Diese Werte werden uns in Bezug auf Regionalität oft vermittelt. Schon zu Lebzeiten Rousseaus wurde die heilende Wirkung guter Landluft gepriesen und die beruhigende Wirkung unverbauter, naturnaher Landschaft auf Patienten beobachtet. So wird denn auch Regionalität mehrheitlich mit ländlichen Merkmalen inszeniert. Vor allem in der Schweiz finden sich Berge, Felder, Bauernhöfe und Bauerhoftiere auf den Verpackungen und Plakaten, welche für Regionales werben. Im Bio-Quartierladen Chornlade in Zürich Wiedikon wird Regionalität nicht nur auf der Webseite des Ladens angepriesen, sie wird auch durch die Ladengestaltung und die Produkte vermittelt. Eine besondere Rolle für die Kommunikation von Werten spielen hierbei Labels und die Schweizerdeutsche Sprache. Im folgenden Artikel wird dargestellt, wie Regionalität im städtischen Chornlade inszeniert wird und welche Wirkung dies auf Einkaufspraktiken im Kontext von Konsumentennähe, Vertrauensnarrativen und Nachhaltigkeit haben kann.

Regional ist ländlich
Für die Inszenierung der Produkte aus lokaler Herstellung wird auf das Bild der perfekten Ländlichkeit zurückgegriffen, welche auf einer vorindustriellen Landschaft basiert und mit Gesundheit, Authentizität, Tradition und Geschmacksvielfalt verbunden wird. Die Akteur/innen, welche mit den regionalen Produkten assoziiert werden, sind die landwirtschaftlichen Produzent/innen: Bauern und Bäuerinnen, Käser/innen und Winzer/innen. Vermittelt wird, dass sie das Land bearbeiten, welches als Natur betrachtet wird, ohne diesem zu schaden (vgl. Göttsch-Elten 2017, 70-72). Dies ist jedoch nur eine von vielen Sichtweisen auf das regionale Land. Wo manche idyllische Natur und Heimat sehen, ist für Andere Rückstand, Verfall und beengende Tradition vorherrschend. Im Kontext gegenwärtiger Ländlichkeitsvorstellungen werden verschiedene Themen diskutiert wie beispielsweise Klimawandel, Tierhandel, Landflucht und Daseinsvorsorge. Wie die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marszalek und ihre Mitautoren ausführen, kann das Ländliche als gesellschaftlicher Aushandlungsort für symbolische Bezugnahmen gesehen werden und es bestehen zahlreiche Ländlichkeiten nebeneinander (vgl. Marszalek, Nell und Weiland 2018, 12). Im Falle der Inszenierung von Regionalität ist es eindeutig eine Ländlichkeit, die Bilder von Idylle und Natur hervorruft.
Unsere Vorstellung der regionalen Ländlichkeit ist nicht nur durch Zuschreibungen geprägt. Auch das, was die Ländlichkeit nicht ist, also ihr Gegenteil, ist Bestandteil der Definition. Die ländliche Region wird nicht nur mit verschiedenen Attributen wie grün oder naturnah assoziiert, sie wird auch dadurch definiert, dass sie nicht Stadt ist. Diese ist das Gegenbild des Landes. Doch gerade durch diese historisch gewachsene Entgegensetzung bleiben diese zwei Gebiete eng miteinander verbunden und jedes ist Teil der Definition des jeweils anderen. Die Verstärkung der wahrgenommenen Binarität zwischen Stadt und Land entstand im Zuge der Industrialisierung, die zu einschneidenden Veränderungen im Landschaftsbild führte. Städte unterschieden sich durch ihre Architektur immer deutlicher von den ländlichen Gebieten. Verschiedene Landschaften wurden mental mit unterschiedlichen Emotionen, moralischen und ethischen Attributen, aber auch mit bestimmten Gerüchen und anderen Sinneseindrücken in Verbindung gebracht und somit mit Bedeutung und Sinnhaftigkeit versehen. So wurde die Stadt während der Heimatbewegung um 1900 laut der Volkskundlerin Silke Göttsch-Elten als Raum gezeichnet, welcher die Sinne überrollt und überfordert, während das Land als Entität umrissen wurde, welches einen harmonischen Sinneseindruck hinterlasse, da Sinne, Landschaft und Naturgewalten miteinander verbunden und ausgeglichen seien (vgl. Göttsch-Elten 2017, 66-69). Einige dieser historischen Wahrnehmungsmodi haben sich bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhalten, während andere verschwunden sind oder sich grundlegend verändert haben.

Der Zürcher Chornlade wird zum Dorfladen
Die Türe des Chornlade befindet sich genau in der Ecke des Gebäudes an der Zurlindenstrasse 211. Wie an einem Marktstand werden draussen Setzlinge und Äpfel vom lokalen Bauernhof in Kisten feilgeboten. Einmal durch die Ladentüre getreten, finden die Besucher/innen weitere Waren in Körben und auf Holztischen präsentiert, die vor der Theke stehen, welche aussieht, als käme sie von der Molki oder vom Volg (vgl. Anm. 2). Die kleine Ladenfläche wird gut genutzt, viel Raum zwischen den Regalen gibt es nicht. Hier finden sich nicht nur Lebensmittel, sondern auch jegliche Dinge für den Haushalt, wie Putzmittel oder Seife. Optisch ist es klar, dass es sich nicht um einen Spezialitätenladen mit edlen Verpackungen und modernen Möbeln handelt. Die Innenausstattung erinnert vielmehr an einen Dorfladen. Es herrscht eine intime Einkaufsatmosphäre, die auch durch das freundliche Personal kreiert wird, das die Besucherinnen und Besucher aufmerksam begrüsst und verabschiedet.
Im Chornlade wird durch die Innenausstattung ein Bezug zum Typus des Dorfladens hergestellt. Nicht nur das Aussehen, sondern auch die intime Atmosphäre werden hier gespiegelt. Das Dorf ist ein typisches Bild, welches auch für Regionalität steht. In diesem Kontext könnten beispielsweise Tradition, Gemeinschaft, Geborgenheit und Zeit als positive Werte gelten (vgl. Anm. 3). Gleichermassen vermitteln auch die Holzkistchen, die geflochtenen Körbe und die alten Tische solche Werte. An dieser Stelle muss jedoch hinzugefügt werden, dass ausdrückliche Hinweise auf Regionalität im Chornlade fehlen, so gibt es kein Regal spezifisch für Produkte aus der Region und es sind keine Poster oder Tafeln ausgestellt, welche eine «regionale Philosophie» kommunizieren würden. Diese wird implizit über die Ausstattung vermittelt. Viel konkreter werden Regionalität und Ländlichkeit dann auf den Produkten selbst thematisiert.

Verpackungen erzählen
Nicht nur durch die Ladenarchitektur, sondern ebenso durch Verpackungen werden Wertigkeiten vermittelt. Zwar nicht durchgehend, aber eindeutig mehrheitlich handelt es sich bei den Verpackungsmaterialien um wiederverwertbare Stoffe. Viele Produkte sind in Gläsern abgefüllt oder in Karton verpackt. Insgesamt ist das Erscheinungsbild der Regalinhalte aber keineswegs eintönig oder dezent, sondern im Gegenteil sehr bunt. Die Verpackungen des Bio-Sortiments unterscheiden sich in ihrer Farbigkeit nicht von herkömmlichen Produkten. Auffallend ist das Bio Suisse Label, das auf vielen Produkten im Chornlade vorhanden ist und aufgrund der grün-rot-weissen Kombination besonders heraussticht (vgl. Anm. 4). Die verbindlichen Zertifizierungen schaffen Vertrauen, da gewisse Standards in der Bio-Produktion garantiert werden. Das Bio Suisse Label steht zudem für eine regionale Herstellung, da mindestens 90% der Rohstoffe aus der Schweiz stammen müssen (vgl. Bio Suisse: Die Marke). Anhand dreier Produktverpackungen sollen hier einige Merkmale der Inszenierung von Regionalität aufgezeigt werden.
Das Mehl im Chornlade eignet sich gut als Anschauungsbeispiel für die Wirksamkeit der Verpackung. Mehl ist ein Produkt, welches für viele Menschen zum Alltag gehört. Die Grundfarbe des Beutels ist ein helles grün, unten gibt es einen schmalen, dunkelgrünen Balken mit dem weissen Schriftzug «www.bio-suisse.ch». Das Logo von Bio Suisse mit dem Spruch «Bio Knospe. Mensch, Tier und Natur im Gleichgewicht» nimmt etwa einen Drittel der Oberfläche ein. Auf der weissen Etikette ist das Bio Suisse Label noch einmal aufgedruckt, gleich neben dem Label des Bio-Hofes Schönboden. Darunter steht: «Unser Getreide wird von der Mühle von Fam. Bucheli, Geuensee oder in der Ferrenmühle, Kleinwangen verarbeitet. Bio-Zertifizierung: CH-BIO 006». Die sieben Richtlinien von Bio Suisse sind auf der Seite der Mehlpackung aufgedruckt (vgl. Anm. 5). Der Konsumentenblick sieht zunächst das grosse Knospenlogo mit der Flagge und stellt sofort den Bezug zur Schweiz und zu guter Qualität her. Der Anspruch, dass ein Gleichgewicht zwischen Natur, Tier und Mensch hergestellt wird, ermöglicht die Kommunikation von positiven Emotionen. Persönliche Färbung erhält das Narrativ der regionalen Herkunft dann mithilfe des Logos des Bio-Hofes Schönboden und des begleitenden Textes über die Mühle.

Abb. 1: Mehlpackung aus dem Chornlade.

Abb. 1: Mehlpackung aus dem Chornlade.

Abb. 2: Dessert-Quark von der Sennerei Bachtel.

Abb. 2: Dessert-Quark von der Sennerei Bachtel.

Ein Beispiel für ein Milchprodukt ist der Bio-Quark, auf dessen weisser Verpackung das blaue Logo der Sennerei Bachtel und die orange-grüne Demeter-Zertifikation prangt. Auf der Seite können geneigte Konsument/innen Folgendes lesen: «Feine Bio-Milch-Spezialitäten aus der Sennerei Bachtel» wobei wieder das Logo der Sennerei aufgedruckt ist. Hier wird der Anspruch erhoben, es handle sich um Spezialitäten und die Produkte seien fein. Der Begriff Sennerei erinnert an einen Alpenbetrieb, was mit dem Bild der Schweizer Alpenbauern konnotiert ist. Wie der Kulturwissenschaftler Tobias Scheidegger in seinem Artikel «Der Boom des Bäuerlichen» aufzeigt, soll das Bild des Bäuerlichen im Bereich der Nahrungsmittel den Produktionsprozess sichtbar machen, was bewirken soll, dass sich die Konsumierenden den Produzierenden und somit auch dem Produkt näher fühlen. Angesichts einer als krisenhaft wahrgenommenen industriell-agrarischen Lebensmittelproduktion und diversen Lebensmittelskandalen der jüngeren Zeit, würden im gegenwärtigen Lebensmittelmarketing gezielt Bilder des Bäuerlichen eingesetzt, um das Vertrauen der Konsumenten wieder zu gewinnen (vgl. Scheidegger 2009, 201-206).

Abb. 3: Sirup von Le Sirupier de Berne.

Abb. 3: Sirup von Le Sirupier de Berne.

Im Chornlade finden sich auch Sirupe in verschiedenen Geschmacksrichtungen von Le Sirupier de Berne, welcher seine lokale Herkunft gleich im Firmennamen verewigt hat. Die Sirupe werden in Bern produziert und abgefüllt, es finden sich aber keine Angaben darüber, woher die Zutaten stammen, sie sind aber nicht aus einer Bio-Produktion. Hier spiegelt sich die Regionalität nur im Produzentennamen, welcher zumindest auf der Webseite mit Tradition und dem Status als Familienbetrieb in Verbindung gebracht wird. Die Betonung wird auf das traditionelle Handwerk und das lokale Wissen gelegt: «Willkommen beim Sirupier de Berne. Seit über 35 Jahren und in zweiter Generation machen wir Sirup. Immer in Bern, nach wie vor mit Herzblut und neugieriger Nase. Nur die Kochtöpfe werden immer grösser...» (Le Sirupier de Berne).
Anhand dieser drei Beispiele wird ersichtlich, dass der Nachweis regionaler Produktion grosse Bedeutung hat. Die Produzent/innen achten darauf, dass die Assoziation mit einem geografischen Ort sichergestellt ist. Auf diese Weise soll die Authentizität der Produkte garantiert werden. Da die Produzent/innen nicht anwesend sind, muss die Verpackung diese Authentifizierungsarbeit übernehmen. Diese Aufgabe wird im Verkaufsladen durch die Labels mit Wiedererkennungswert geleistet. Dazu passen Produktenamen, welche die regionale Herkunft transportieren, wie im Falle des Sirups «Besser aus Ystee» («Besser als Eistee»), der im Berner-Dialekt verfasst ist. Die drei «lokalen» Produkte vermarkten die Regionalität auf unterschiedliche Weise. Beim Mehl liegt der Fokus in Kombination mit dem Bio Suisse Label auf der schonenden Herstellung und der Rücksichtnahme auf Natur und Mensch. Die Quark-Verpackung betont die geschmackliche Qualität und Authentizität, indem das Produkt als «feine Spezialität» angepriesen und in einen Alpenkontext gerückt wird. Auch hier wird das Label, in diesem Falle Demeter, prominent aufgedruckt. Die Sirupe werden aufgrund des Berner-Herstellungsortes in Verbindung mit einer familiären Verwurzelung als regional bezeichnet.

Die Webseite – Ein virtueller Chornlade
Die Webseite eignet sich für den Chornlade sehr gut dafür, ein Image aufzubauen und dieses einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Auf der eigenen Webseite kann eine Geschäftsphilosophie kommuniziert, für bestimmte Produkte geworben oder das Mitarbeiterteam und Partner vorgestellt werden. Auf der Chornlade-Webseite wird durch ein textuelles Narrativ Nähe zum Kunden und eine Verankerung im Quartier vermittelt. Somit stellt die Webseite beinahe ein Spiegelbild des physischen Geschäftes in der virtuellen Internetwelt dar.
Im Unterschied zum Laden werden im Internetauftritt explizit Werte rund um regionale Produkte kommuniziert, so zum Beispiel in der kurzen Selbstbeschreibung, die auf der Startseite zu finden ist: «Genossenschaft Chornlade – bio, fair & ökologisch. In unseren beiden Läden verkaufen wir ökologisch hergestellte Produkte aus biologischem Anbau. Ein grosser Teil unseres Sortiments stammt von Kleinproduzentinnen und -produzenten sowie von Kollektiven, die im Sinne der Genossenschaft arbeiten» (Genossenschaft Chornlade). Auf die Darstellung eines engen Bezuges zu den regionalen Produzent/innen wird hier Wert gelegt und sogar angedeutet, dass sie eine gemeinsame Philosophie teilten. Somit gibt es anscheinend gewisse Standards, welche erfüllt werden müssen, um den Chornlade beliefern zu dürfen. Dies kann auch als eine Strategie des Vertrauensaufbaus zu den Konsumierenden gesehen werden, die wissen möchten, woher die Lebensmittel stammen.
Das Chornlade-Sortiment wird in fünf Kategorien beschrieben, wobei Regionalität bei Lebensmitteln, Spezialitäten und Non Food eine zentrale Rolle einnimmt: «Unser Früchte- und Gemüsesortiment stammt von regionalen Bauern und ist saisonal abgestimmt. Unsere Käsetheke wird mit regionalem Büffel-, Schaf-, Ziegen- und Kuhmilchkäse bestückt», «In unserem Sortiment finden Sie sorgfältig ausgewählte Spezialitäten aus der Region sowie aus dem Ausland» und «Wir führen eine Vielzahl an Körperhygiene-Produkten von Weleda, Hauschka, SantaVerde, Farfalla, Lavera sowie von regionalen Betrieben wie zum Beispiel unsere Seifen aus dem Bündnerland oder die Pflegecremen aus dem Tessin» (Genossenschaft Chornlade). In diesen Beispielen wird auf eine regionale Herkunft hingewiesen, jedoch nicht genauer definiert, was denn «regional» geographisch genau bedeuten soll. Zudem gibt es keine Aussagen darüber, beispielsweise im Falle der Seifen aus dem Bündnerland, ob die Produktzutaten, die Herstellung oder beides gemeint ist. Allgemein lässt sich sagen, dass die Verwendung des Begriffes «Region» häufig vorkommt, dessen Definition aber ungenau ist und auf der Webseite auf unterschiedliche Weise eingesetzt wird. Das Narrativ beruht auf der Grundannahme, dass das Produkt geographisch aus der Nähe des Ladens kommen sollte und weiter entfernte Herkunftsorte gerechtfertigt werden müssen. Im Sortiment finden sich somit also auch Bananen und Ingwer aus «Übersee».
Anschliessend an das oben Gesagte lässt sich feststellen, dass das Narrativ über die Regionalität nicht eindeutig, manchmal sogar widersprüchlich ist. Die Vermutung liegt nahe, dass «regional» als Synonym für «authentisch» verwendet wird, was Vertrauen und Nähe impliziert. Das Bedürfnis nach dem Authentischen wird nicht nur durch die Regionalisierung der Produkte erfüllt. Dieselbe Authentifizierungsstrategie wird ebenso durch das in der Firmen-Chronik vermittelte Gründungs-Narrativ des Ladens verfolgt. Die chronologische «Chornlade Geschichte» kann im PDF-Format heruntergeladen werden und beginnt wie ein Märchen: «Es war einmal, 1978… Lisa und Ginette lassen sich vom Chornchämmerli Lenzburg inspirieren und möchten in Zürich etwas ähnliches aufbauen» (Schnetzer: Die Geschichte des Chornlade). Laut dem Ethnologen Jón Pór Pétursson, der eine Forschungsarbeit über Kunden- und Objektbeziehungen in einem Bioladen in Reykjavík publiziert hat, trägt das Erzählen der Herkunftsgeschichte zur Kundenbindung bei, da das Einkaufen auf diese Weise bedeutungsvoll werde und die Konsumentinnen Teil der Erfolgsgeschichte würden (vgl. Pétursson 2018, 4). Die Erzähltechnik im Märchenstil weist – bei aller Ironie – ein stückweit auf eine moralische Motivation hin und betont, dass hier etwas «Gutes» gemacht wird. Auf diese ethische Normierung wies auch die Kulturwissenschaftlerin Maria Grewe hin: «Nachhaltigkeit als ein normatives Deutungsmuster gibt spezifische Praktiken vor, codiert das ‹gute› oder ‹richtige› Handeln und markiert damit auch ethische Haltungen» (Grewe 2015, 278). Auf diese Weise wird nach Grewe der Begriff Nachhaltigkeit als Legitimationsmuster verwendet, um dem Aufbau des Bio-Ladens Bedeutung zu verleihen (vgl. Grewe 2015, 278). Zudem wird mit diesem Verfahren behauptet, dass die Anfänge des Chornlade weit zurückliegen und dieser somit ein Laden mit Tradition ist. Auch die Verankerung in Zürich wird in diesem ersten Satz deutlich, zudem werden die Gründerinnen nur mit dem Vornamen genannt, was eine angebliche Vertrautheit der Kund/innen mit ihrem Laden impliziert.
Weiter beschreibt die besagte Firmen-Chronik, wie klein und bescheiden der Laden zu Beginn gewesen sei und wie Ginette und Lisa damals einen Teil der Produkte selbst produziert hätten. Interessanterweise weist Pétursson in seiner Studie auf eine Firmen-Chronik hin, die fast wortgleich kommuniziert wird. So habe das Paar, das den Laden führte, von den einfachen Verhältnissen erzählt und mit wie viel Geduld alles aufgebaut wurde. Ginette, die in den ersten Jahren keinen Lohn bezog, betonte, dass der Austausch mit Kunden bei einer Tasse Tee oder an Veranstaltungen im Laden für sie zentral war. Pétursson, der in seiner Studie beschrieb, dass beim Verkauf und Einkauf von Bio-Produkten bestimmte emotionale Praktiken Anwendung finden, brachte die Wirkung solcher Narrative auf den Punkt:

«The moving stories quell the fear of the anonymous food system by giving the impression of transparency, bringing forward the faces and places vital to establishing trust between producers and consumers. In that way, consumers are invited to become part of the story, and to embody specific food values through consumption. The personification of the food value chain thus brings forward the food producers, but increasingly also the founders and owners of companies» (Pétursson 2018, 5).

Schluss
Der Begriff der Regionalität zeichnet sich durch seine Pluralität aus und hat sich, ausgehend von unterschiedlichen historischen Zuschreibungen, zu einem wichtigen gegenwärtigen Muster für die Produktion von Vertrauensnarrativen entwickelt. Regionalität wird im ländlichen Stil inszeniert und dient als Basis für die Vermittlung von Werten wie Reinheit und Gesundheit sowie eines vorindustriellen, romantisierten Landschaftsbildes. Im Ladendesign, auf Lebensmittelverpackungen, durch Labels und auf der Webseite des Chornlade sollen solche Vertrauensnarrative in Gestalt eines Regionalbezuges Kundennähe, Qualitätsbewusstsein sowie Tradition propagieren. Somit dienen Inszenierungen der Regionalität(en) als Projektionsflächen für zeitgeistige Wünsche und Hoffnungen auf Gesundheit und Nachhaltigkeit. Vor allem die Produktverpackungen und die Labels – im Verbund mit visuellen Darstellungen von Ländlichkeit und Regionalität – werden zu materiellen Trägersubstanzen eines produktbezogenen Nachhaltigkeitsdiskurses, der Authentizität verspricht und Vertrauen schaffen will.

Anmerkungen

Anm. 1:  Das Label heisst: «Aus der Region. Für die Region.»

Anm. 2: Die Ladenkette Volg präsentiert ihre Filialen explizit als Schweizer-Dorfläden. So heisst es in ihrem Claim: «Volg. frisch und fründlich.» und auf der Tragetasche: «Volg. Im Dorf daheim.»

Anm. 3: Daneben gibt es natürlich auch negative Beschreibungen wie beispielsweise Verschlossenheit, Rückständigkeit und Arbeitslosigkeit. Diese spielen hier aber keine Rolle, da im Chornlade ein positives Landbild kommuniziert wird.

Anm. 4: Es handelt sich dabei um eine Knospe vor der Schweizer Flagge in geschwungener Form.

Anm. 5: Dies sind: GANZHEITLICHKEIT: Bio für den gesamten Betrieb und für die ganze Produkteverarbeitung, BIODIVERSITÄT: Vielfältige Lebensräume für Pflanzen und Tiere, TIERWOHL: Artgerechtes Futter, tiergerechter Stall, viel Auslauf und Weide, RESSOURCENSCHUTZ: Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und Kunstdünger, Schutz von Boden, Wasser, Luft und Klima, GESCHMACK: Schonende Verarbeitung, frei von Aroma und Farbstoffen, authentische Produkte, VERTRAUEN: Strikte Kontrollen, Verzicht auf Gentechnik, strenge Vorschriften für Importe, FAIRNESS: Richtlinien für soziale Anforderungen und faire Handelsbeziehungen.

Literaturverzeichnis

Bio Suisse: Die Marke. URL: https://www.bio-suisse.ch/de/diemarke.php (Abgerufen: 23.11.2018).

Brühlmann, Manuel: Der etwas andere Koch. Streifzug durchs Entlebuch mit Spitzengastronom und Unikum Stefan Wiesner. In: Via, 2018, 24-26.

Genossenschaft Chornlade. URL: https://www.chornlade.ch/ (Abgerufen: 23.11.2018).

Göttsch-Elten, Silke: Ländlichkeit als sinnliche Erfahrung. Zu einem Wahrnehmungsparadigma der Moderne. In: Karl Braun, Claus-Marco Dieterich, Thomas Hengartner u. a. (Hg.): Kulturen der Sinne. Zugänge der Sensualität der sozialen Welt. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann, 2017, 62-77.

Grewe, Maria: Reparieren als nachhaltige Praxis im Umgang mit begrenzten Ressourcen? Kulturwissenschaftliche Notizen zum «Repair Café». In: Markus Tauschek und Maria Grewe (Hg.): Knappheit, Mangel, Überfluss. Kulturwissenschaftliche Positionen zum Umgang mit begrenzten Ressourcen. Frankfurt/M. und New York: Campus, 2015, 267-289.

Le Sirupier de Berne. URL: https://www.sirupier.ch/ (Abgerufen: 23.11.2018).

Marszalek, Magdalena, Werner Nell und Marc Weiland: Über Land – lesen, erzählen, verhandeln. In: Dieselben (Hg.): Über Land. Aktuelle literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Dorf und Ländlichkeit. Bielefeld: transcript, 2018, 9-26.

Pétursson, Jón Pór: Organic intimacy. Emotional Practices at an Organic Store. In: Agriculture and Human Values (2018). URL: https://doi.org/10.1007/s10460-018-9851-y (Abgerufen: 23.11.2018).

Scheidegger, Tobias: Der Boom des Bäuerlichen. Neue Bauern-Bilder in Werbung, Warenästhetik und bäuerlicher Selbstdarstellung. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 2/105, 2009, 193-219.

Schnetzer, Veronika: Die Geschichte des Chornlade. URL: https://www.chornlade.ch/wp-content/uploads/Chornlade-Geschichte.pdf (Abgerufen: 04.06.2018).

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Fotografie von Julia Zuber, Zürich, Dezember 2018.

Abb. 2: Fotografie von Julia Zuber, Zürich, Dezember 2018.

Abb. 3: Fotografie von Julia Zuber, Zürich, Dezember 2018.