Urbane Kulturen der Nachhaltigkeit
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Nachhaltigkeit online: Zwei Nachhaltigkeits-Webseiten im Vergleich

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Nachhaltigkeit online:
Zwei Nachhaltigkeits-Webseiten im Vergleich

von Nuria Massó

«Grünes Shopping», «Lifestyle of Health and Sustainability» und «Öko 2.0» – nachhaltige Lebensstile liegen im Trend. Wenn man beginnen möchte, umweltbewusster zu leben, findet man im Internet eine grosse Auswahl an Blogs, Foren und Plattformen zur Unterstützung. Egal ob unterwegs am Smartphone oder Zuhause am Laptop, immer mehr umweltbewusste Menschen suchen nach Tipps und Vorschlägen, um ohne «schlechtes Gewissen» ihre Konsumentscheidungen zu treffen. Welche Urban Gardening Projekte gibt es in der Nähe? Wo kann man am besten regional und vegan essen gehen? Welche Second-Hand-Läden bieten auch Designermode an? Und was tut sich in Zürich in Sachen Nachhaltigkeit? Bei diesen Fragen helfen Schweizer Internetseiten wie nachhaltigleben.ch und dasLamm.ch weiter. Auf den ersten Blick decken das Lamm und nachhaltigleben die gleichen, klassischen Nachhaltigkeitsthemen wie Ernährung, Konsum und Umwelt ab, beide jeweils in erster Linie aus einer schweizerischen Perspektive. Aber wenn man die Internetseiten genauer betrachtet, zeichnen sich unterschiedliche Philosophien, Vorgehensweisen und Ästhetiken ab. Es wird ersichtlich, dass die beiden Webseiten alles andere als die gleichen Ziele verfolgen.

Das Lamm und nachhaltigleben kurz vorgestellt
Das Lamm ist eine Onlinezeitschrift, die ohne Werbung journalistische Artikel und Blogbeiträge publiziert. Finanziell wird das Magazin durch gemeinnützige Stiftungen und Leser/innen-Spenden unterstützt (vgl. Das Lamm: Das Lamm stirbt!), und die Autoren/innen sind zum grössten Teil Studierende, die ehrenamtlich für die Seite schreiben (vgl. Das Lamm: Das ist das Lamm). Im Gegensatz dazu finanziert sich nachhaltigleben durch Werbungen und Sponsoring. Die Seite ist eine der fünf Special-Interest-Plattformen des digitalen Schweizer Verlags Carpe Media GmbH (vgl. Carpe Media, Nachhaltigleben). Neben dem Thema Nachhaltigkeit betreibt der Verlag Onlineplattformen zu den Themen Familie, Frau, Baby und Luxus. Nachhaltigleben bietet neben Artikeln mit Tipps und Nachrichten ein Forum, einen Shopfinder und einen Eventkalender an. Beide Seiten haben ihren offiziellen Sitz in Zürich und richten sich an ein junges, gut ausgebildetes Zielpublikum, das einen urbanen Öko-Lebensstil pflegt.
Durch den Vergleich dieser zwei Webseiten zielte ich darauf ab, unterschiedliche Auffassungen von Nachhaltigkeit herauszudestillieren. Die Unterschiede verweisen auf eine grundlegende Problematik des gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdiskurses: die Widersprüche zwischen einem simplen «Lifestyle», der sich kapitalistischen Strukturen fügt und einem radikaleren Verständnis, welches wirkliche Nachhaltigkeit mit grundlegenden Systemveränderungen gleichsetzt.

Die Bedeutungsvielfalt von Nachhaltigkeit
In der gegenwärtigen wissenschaftlichen Debatte zu Nachhaltigkeit wird die Bedeutungsvielfalt des Begriffes immer wieder diskutiert. Der Soziologe Sighard Neckel spricht davon, wie sich unter demselben Begriff der Nachhaltigkeit verschiedene Auffassungen angesammelt haben, die «Widersprüchlichkeiten, Dilemmata und Paradoxien» vorweisen (Neckel 2018, 12–13). Zum Beispiel stehen den Vertreter/innen der ‹Grünen Wirtschaft›, die Nachhaltigkeit als eine Voraussetzung für fortgesetztes wirtschaftliches Wachstum deuten, Aktivisten/innen gegenüber, die im forcierten Wirtschaftswachstum die grösste Gefahr für eine nachhaltige Entwicklung sehen (vgl. Neckel 2018, 12–13). Solche Gegensätze fasst auch die Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann ins Auge, die aus einer kritischen Perspektive über aktuelle Nachhaltigkeitstrends schreibt. Sie stellt dazu die Frage, ob es mit populären Nachhaltigkeitsportalen den Konsument/innen nicht zu leicht gemacht werde, mit dem Zweck, es sich «am Rande des an Öko-Aufwand gerade noch Erträglichen gemütlich» einzurichten (Hartmann 2009, 107). Das kapitalistische Nachhaltigkeitsverständnis als Lifestyle läuft dabei Gefahr, in oberflächliche Konsumkultur zu versinken. Dem entgegengesetzt steht ein Verständnis von Nachhaltigkeit, dass sich dem Anti-Kapitalismus verschreibt und gegen die Normen des Neoliberalismus kämpft. Der Publizist und Journalist Ulrich Grober schreibt zu diesem alternativen Verständnis von Nachhaltigkeit, dass es nicht nur den Schutz der Umwelt und den sparsamen Umgang mit Ressourcen umfasse. Wie wir in unserer Gesellschaft zusammenleben, sei ebenfalls damit verknüpft. Wie Grober weiter ausführt, sei das Ziel einer Reduzierung des ökologischen Fussabdrucks mit der Strategie verbunden, gute Lebensqualität und Glückseligkeit für alle gleich zugänglich zu machen. Für diese Nachhaltigkeitsdefinition spreche man von den «drei Säulen der Nachhaltigkeit», die unzertrennlich miteinander verwoben seien: Ökologie, Ökonomie und Soziales (vgl. Grober 2013, 32).

Kritisches Hinterfragen oder individualistische Konsumkultur?
Das Lamm und nachhaltigleben bieten beide Informationen für einen nachhaltigeren, urbanen Lebensstil an, aber das Lamm hat laut seinem Leitbild konkret das Ziel, kritische und analytische Fragen zu stellen (vgl. Das Lamm: Leitbild). Das Magazin stellt sich gemäss seinem Selbstverständnis gegen den Mainstream, hinterfragt neoliberale Strukturen und möchte festgesetzte Normen aufbrechen. Das spiegelt sich im Motto der Seite wider: «Auf den Punkt, gegen den Strich». Die Lamm-Redaktion möchte grössere Veränderungen und ein Umdenken in der Gesellschaft bewirken und folgt dem oben erwähnten Nachhaltigkeitsverständnis, das den sozialen Aspekt aus dem «Dreieck der Nachhaltigkeit» einbezieht. Dazu analysieren die Lamm-Autoren/innen Umweltfragen genauso wie gesellschaftspolitische Themen und soziale Aspekte, die zum Beispiel mit Blick auf das Zusammenleben in einer Stadt wie Zürich aufkommen. In einem Artikel wird über den Umgang mit politischer Werbung in öffentlichen Räumen wie dem Hauptbahnhof Zürich diskutiert (vgl. Schilliger 2015a). In einem anderen Beitrag berichtet ein Lamm-Redakteur über seine persönliche Erfahrung mit Gentrifizierung, als seine WG-Wohnung den Kündigungsbrief erhalten hat, da ihre Häuserzeile für eine neue, teure Überbauung abgerissen werden sollte (vgl. Schilliger 2015b).
Im Vergleich verfolgt nachhaltigleben einen individualistischen Ansatz und der Fokus auf Konsumkultur ist eindeutig stärker spürbar. Die nachhaltigleben-Redaktion konzentriert sich auf den Nutzwert von Informationen, die Nachhaltigkeit und alltäglichen Konsum verbinden. Politische Themen werden nicht auf die gleiche kritische und ausführliche Weise diskutiert wie im Lamm-Magazin. Das merkt man schon in der Selbstdarstellung auf der «Über Uns»-Seite, wenn von den «täglichen Konsumentscheidungen» und Nachhaltigkeit als «Kriterium bei […] Kaufentscheidungen» gesprochen wird (Nachhaltigleben: Über Uns). Die Plattform richtet sich dabei an die sogenannte LOHAS-Leser/innenschaft. LOHAS ist die Abkürzung für «Lifestyle of Health and Sustainability». Dieser Lebensstil möchte Konsum, Genuss und Vergnügen mit Verantwortung, Ethik und gutem Gewissen verbinden (vgl. Hartmann 2009, 11). Mit dieser Einstellung hilft nachhaltigleben ihren Leser/innen mit Orientierung, damit sie innerhalb der kapitalistischen Strukturen einen angenehmen Öko-Lebensstil führen können. Dazu geben die nachhaltigleben-Autor/innen Tipps, wie man in den grossen Schweizer Städten nachhaltigen Trends nachgehen kann, beispielsweise wenn sie Second-Hand-Läden vorstellen, in denen man trendige Kleider oder Designerstücke findet (vgl. Sasse 2018a). Einen ähnlichen Artikel gibt es auch auf das Lamm, aber dort lautet der erste Tipp, auf dem Flohmarkt eine/n Verkäufer/in zu finden, der/die etwa den gleichen Körperbau und die gleiche Kleidergrösse habe wie man selbst (vgl. Tiefenbacher 2016a). Das Lamm bietet zuerst Alternativen an, wie man abseits der üblichen Konsumkultur ein nachhaltiges Leben praktizieren kann, und konzentriert sich weniger stark auf den Trendfaktor der Kleider.
Beispielsweise beim Vergleich von Artikeln zum spezifischen Thema urbaner Gartenbau bemerkt man auch, dass die Lamm-Redaktion mehr Aufklärungsarbeit leistet. Die Ausgangslage beider Artikel ist die gleiche: Die Frage, wie man zum Stadtgärtner wird (vgl. Tiefenbacher 2016a; Rösemeier-Buhmann o.J.a). Der Lamm- wie auch der nachhaltigleben-Artikel empfehlen Stadtprojekte, wie zum Beispiel die Setzlingsmärkte der Zürcher Stadtgärtnerei, aber die Autorin des Lamm-Artikels erklärt auch Grundsätze wie «Hände weg von Torf» (vgl. Tiefenbacher 2016a). Dazu gibt es ein Bild der symbolträchtigen Moorlandschaft in Rothenthurm mit der Erklärung in der Bildunterschrift, dass der im Ausland erlaubte Torfabbau wichtige Lebensräume für bedrohte Tiere zerstöre, im Gegensatz zur Schweiz, wo die Hochmoore dank der 1987 von der Stimmbevölkerung angenommenen «Rothenthurm-Initiative» geschützt sind. Während nachhaltigleben Urbane-Garten-Projekte auflistet und kurz vorstellt, erklärt die Tippliste von das Lamm genauer, welche Auswirkungen die eigenen Entscheidungen mit sich bringen. Auch Menschen mit kleinerem Einkommen werden bei das Lamm miteinbezogen, wenn die Autorin darauf hinweist, dass man günstige Hochbeete im Internet-Auktionshaus Ricardo findet (vgl. Tiefenbacher 2016a). So gibt das Lamm Gegenvorschläge fernab vom üblichen Konsumismus, um seine Leser/innenschaft zu ermutigen, noch nachhaltiger zu leben und die Natur gar nicht zu belasten.

Über Konzerne urteilen oder mit ihnen kollaborieren?
nachhaltigleben lebt von Werbung, die sich offensichtlich und auch auf subtilere Art auf ihrer Plattform zeigt. Firmen können Werbeplatz in Form von ganzen «Tipp»-Artikeln oder «Advertorials» kaufen. «Advertorials» für den Betrag von 2'900 Franken sind Artikel, die sich im Stil und Aufmachung nicht vom redaktionellen Rest der Seite unterscheiden und gegen einen Aufpreis auch von der Redaktion verfasst werden können (vgl. Carpe Media: nachhaltigleben.ch Mediadaten, 13–14). Zum Beispiel werden nicht nur Werbebanner von der Zürcher Kantonalbank zu nachhaltigen Investments überall angezeigt, sondern es wird ebenso ein von der gleichen Firma gesponserter Artikel automatisch in der Seitenleiste vorgeschlagen (vgl. Nachhaltigleben: Teilhabe an nachhaltiger Performance). Weiter gibt es für Werbepartner/innen auf nachhaltigleben auch die Möglichkeit, Themen‑ und Rubrikenpartnerschaften einzugehen, Wettbewerbe aufzuschalten, extra im Newsletter aufgeführt zu werden oder sogar einen ganz eigenen Newsletter zu erhalten (vgl. Carpe Media: nachhaltigleben.ch Mediadaten, 15–17). Hier findet eine undeutliche Trennung von Werbematerial und Redaktionsmaterial statt, die die Gefahr von «Greenwashing» mit sich bringt. Unter «Greenwashing» versteht man das Phänomen, dass Unternehmen mit PR-Methoden und Werbekampagnen den Anschein eines nachhaltigen Engagements erwecken, das im Hintergrund aber nur minimal oder gar nicht vorhanden ist (vgl. Lexikon der Nachhaltigkeit: Greenwashing). Kommerzielle Nachhaltigkeitsplattformen sind für diese Praxis perfekt, da sie das gewünschte Zielpublikum ansprechen. Diese Partnerschaften und das ganze Werbemodell führen aber zu einer Symbiose, die es nicht erlaubt, kritische und unangenehme Fragen an Grossunternehmen zu stellen. Um nicht Einbussen bei den Werbegeldern zu riskieren, dürfen Seiten wie nachhaltigleben keine zu antikapitalistische Haltung einnehmen, was sich in der bescheidenen Komplexität der Inhalte widerspiegelt. Das Portal bietet eine grosse Fülle an Artikeln, aber meistens bestehen sie aus ein paar kurzen Passagen, die anstelle kontroverser eher unverbindliche Themen aufgreifen. Das sieht man unter anderem in Artikeln, die positive Lokalnachrichten kurz wiedergeben, wie die Geschichte über einen Bioladen, der von Zürcher Quartiersbewohnern finanziert wurde (vgl. Bürgi o.J.).
Auf das Lamm betonen die Herausgeber/innen im Leitbild, dass sie auf Sponsoring verzichten, denn nur so könne die Seite unabhängig weiterbestehen und kritisch recherchieren (vgl. Das Lamm: Leitbild). Das Lamm finanziert sich stattdessen über Spenden und präsentiert sich als kapitalismuskritische, urteilende Partei. Das sieht man besonders in der sogenannten «Montagsmail»-Rubrik. Hier stellt sich das Magazin der Aufgabe, öffentliche Institutionen und Unternehmen anzuschreiben und diese über ihr Verhalten «in Bezug auf soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit» zu befragen (vgl. Vereins-Wiki: Liga der aussergewöhnlichen Montagsmailer).
In einem Beispiel schrieb ein Lamm-Autor die SBB (Schweizerische Bundesbahnen) mit der Frage an, ob die neue, digitale Fahrplananzeigetafel im Hauptbahnhof Zürich weniger Energie als die alte, analoge Faltanzeigetafel verbrauche (vgl. Schilliger 2015a). Die Korrespondenzen werden vom Autor dazwischen kommentiert und mit Hintergrundinformationen ergänzt. Die Rückmeldungen sollen auseinandergenommen und weiter hinterfragt werden. Das Lamm inszeniert sich in diesen «Montagsmails» als Schiedsrichter, der mächtigere Konzerne direkt mit Fragen zu Nachhaltigkeit konfrontiert und sich nicht durch inhaltslose, ablenkende Antworten abschütteln lässt.

Persönliche Perspektiven oder distanzierter Ratgeber?
Beide Internetseiten wollen Vorbilder für nachhaltige Lebensstile zeigen, verfolgen dabei aber unterschiedliche Strategien. Das Lamm nutzt persönliche Narrative mit Protagonisten/innen, die Authentizität schaffen sollen. Unter der Rubrik «Mina» berichtet eine Redaktorin im Blogformat, wie sie im Alltag versucht, so nachhaltig wie möglich zu leben. Indem sie andere an ihren Erfahrungen teilhaben lassen, erwecken solche Blogger/innen Authentizität (vgl. Hartmann 2009, 93). Als Leser/in erhält man das Gefühl, echten Menschen zu folgen, die ungekünstelt von ihren Bemühungen um Nachhaltigkeit berichten. Die Leser/innenschaft kann mit der Protagonistin, die aufklären und inspirieren soll, sympathisieren und sich in sie einfühlen. Der Ethnologe Jon Thor Pétursson beobachtete das gleiche Prinzip in seiner Forschung zu Bio-Lebensmittelläden in Island, die auf einer Erzählhandlung aufbauen und Protagonist/innen beinhalten, denen die Kund/innen folgen und in die sie sich hineinversetzen können (vgl. Pétursson 2018, 2).
Die Redaktion von nachhaltigleben möchte laut der Über-Uns-Seite seine Leser/innenschaft «begeistern und motivieren» (Nachhaltigleben: Über Uns). Deswegen präsentieren die Redaktor/innen gerne Erfolgsgeschichten von Nachhaltigkeitsprojekten, oft in Form von regionalen Nachrichten aus anderen Quellen, die kurz zusammengefasst werden – so beispielsweise über die Vorreiterrolle von Zürich im Kampf gegen «Food Waste» (vgl. Nachhaltigleben: Kampf gegen Food Waste) oder darüber, dass die ETH in Zürich Biotope mit Nistplätzen für Wildbienen aufbaut (vgl. Rohland o.J.). Vereinzelt gibt es auch kleine Interviews und Reportagen vor Ort, um Persönlichkeiten und Initiativen vorzustellen. So berichtet eine nachhaltigleben-Autorin über ihren Besuch in Zürich an einer Messe zu Schüler/innenunternehmen und stellt die nachhaltigsten «Highlights» vor (vgl. Sasse 2018b). Der Artikel fällt auf, weil im Gegensatz zu vielen anderen Artikeln hier selber fotografierte Bilder eingebettet sind, welche die Schüler/innen und ihre Produkte zeigen. Die Leser/innenschaft kann sich daran erfreuen, dass es junge Schweizer/innen gibt, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen. Das folgt der Philosophie der Seite, die ihre Leser/innenschaft mit positiven Geschichten anregen und erfreuen möchte.
Weiter gibt es auf nachhaltigleben viele Ratgeberartikel, meistens in Form von Listen, die sich besonders an Nachhaltigkeits-Einsteiger/innen richten. Mit einfachen Tipps möchte die Redaktion sie in die richtige Richtung lenken, beispielsweise mit einer Liste von Zürcher Restaurants, die regionales und saisonales Essen anbieten (vgl. Rösemeier-Buhmann o.J.b). Das Textmaterial ist im Vergleich zu das Lamm viel unpersönlicher, leichter verdaulich und simpler gehalten. Komplexe, kontroverse, unangenehme Inhalte werden vermieden, um die User/innen nicht zu überfordern. Die Seite soll die Leser/innen mit einem guten Gefühl zurücklassen und zu weiteren «Klicks» anregen.

Selbstgemachte Polaroid-Ästhetik oder makellose Stockfotografie?
Bei den Bildern auf nachhaltigleben.ch handelt es sich fast ausschliesslich um Stockfotografie. Das gibt der Seite ein «sauberes», «perfektes» Erscheinungsbild, aber im Gegensatz zu das Lamm fehlt die persönliche Eigennote. Auf das Lamm scheinen im Gegensatz viele der Fotos selbstgemacht.

Abb. 1: Screenshot von der nachhaltigleben-Startseite.

Abb. 1: Screenshot von der nachhaltigleben-Startseite.

Abb. 2: Screenshot von der Lamm-Startseite.

Abb. 2: Screenshot von der Lamm-Startseite.

Während auf nachhaltigleben die Fotos in erster Linie zur schönen Bebilderung dienen, erlauben sie auf das Lamm originelle und kritische Ergänzung oder auch persönliche Einblicke. Zum Beispiel findet man im Urban-Gardening-Artikel ein Foto in einer Polaroid-Ästhetik, das die Autorin auf dem Pflanzplatz Dunkelhölzli zeigt, wo sie laut Bildbeschreibung selber ein Gemüseabo hat (vgl. Tiefenbacher 2016b). Die Verwendung von Polaroid-Fotografie folgt einer Ästhetik, die das Gestern mit dem Heute verbindet und Authentifizierung durch Bezugnahme auf eine spezifische materielle Kultur schafft. Das Gleiche kann man auch im Lamm-Logo erkennen, das den Buchstaben «L» im gotischen Stil mit modernem Design kombiniert.

Abb. 3: Logo von das Lamm.

Abb. 3: Logo von das Lamm.

Laut der Ethnologin Michaela Fenske dienen solche Referenzen der «Vermarktung der Ideen» (Fenske 2017, 232). Die Polaroid-Ästhetik in Verbindung mit dem Motiv des Pflanzplatzes steht als Gegenentwurf zu Künstlichkeit und anonymer Massenproduktion. In diesem Fall werden Werte von Naturverbundenheit und Einzigartigkeit vermittelt. Analoge Fotografie wird deswegen oft als ästhetische Praxis für urbane Nachhaltigkeitsprojekte benützt. Im Fall des Logos geschieht die Authentifizierung mit einem Rückbezug auf die alte europäische Schriftkultur. Die Seite suggeriert damit Wissen und Intellektualität. Fenske zitiert zum Thema Retro-Orientierung akademische Wortführende von Nachhaltigkeitsprojekten, die Rückgriffe auf alte Wissenspraktiken als eine «kulturelle Antwort auf die Fetischisierung des Neuen im Konsumkapitalismus» erklären (vgl. Andrea Baier et al., zit. bei Fenkse 2017, 223). Die Anti-konsumkapitalistischen Haltungen spiegeln sich auf das Lamm in dieser Retro-Orientierung und in der Zelebration des Analogen wieder. Das merkt man auch in den Lamm-Texten selber, wie im Artikel zur neuen Fahrplananzeigetafel im Hauptbahnhof Zürich, in dem der Autor Nostalgie über die alte Fahrplananzeigetafel und ihr Knattern ausdrückt (vgl. Schilliger 2015a).
Eine ähnliche Neigung zur Analog-Nostalgie ist auf nachhaltigleben nicht zu beobachten. Die Webseite hält sich zum grössten Teil an ein modernes Erscheinungsbild, das sich nicht gross von der Grundstruktur ihrer Carpe-Media-Schwesterseiten – wie beispielsweise familienleben.ch – unterscheidet. Das Logo von nachhaltigleben besteht aus dem zu einem Herzen geformten Recycling-Symbol. Es verkörpert die emotionale Perspektive, wie die Herausgeber/innen selber auf der «Über Uns»-Seite erklären (Nachhaltigleben: Über Uns), und deckt sich mit der optimistisch-affirmativen Welteinstellung, die man aus den Artikeln herauslesen kann.

Abb. 4: Logo von nachhaltigleben.

Abb. 4: Logo von nachhaltigleben.

Über nachhaltigen Konsum hinausdenken
Umweltbewusste Zürcher/innen, die bei der Suche nach einer Informationsquelle für nachhaltigen Lebensstil diese zwei Webseiten entdecken, mögen sich die Frage stellen, welche der zwei Webseiten am besten ihre Bedürfnisse abdeckt. Es kommt darauf an, wie weit man das Konzept Nachhaltigkeit denkt. Möchte man innerhalb der gewohnten Strukturen nachhaltiger konsumieren? Oder ist man bereit, nicht nur sein eigenes Konsumverhalten, sondern auch die etablierten Gesellschafts‑ und Wirtschaftsstrukturen in Frage zu stellen? Beide Webseiten verdeutlichen, dass unter dem gleichen Begriff gegensätzliche Verständnisse von Nachhaltigkeit gepflegt werden. Man kann die zwei Webseiten exemplarisch als zwei entgegengesetzte Pole eines weiten Spektrums betrachten: An einem Ende hat man das Lamm mit einer antihegemonialen und antikapitalistischen Auffassung und am anderen Ende nachhaltigleben, das sich dem kapitalistischen System fügt und «Lifestyle» und Konsum in den Mittelpunkt rückt. Der Vergleich zeigt, wie sich das Verständnis von Nachhaltigkeit, die Autor/innenschaft, die finanziellen Mittel und das Auftreten einer Internetseite gegenseitig beeinflussen. Nachhaltigleben spricht als Konsumratgeber ein grösseres Publikum an (vgl. Similarweb: daslamm.ch; Similarweb: nachhaltigleben.ch), betreibt aber eine kommerzielle Form der Nachhaltigkeit, den Konzerne für ihren Profit vereinnahmen können. Das Lamm kann im Gegensatz dazu unabhängig und kritisch ökonomische, ökologische und soziale Fragen analysieren, wie es dem Verständnis der «drei Säulen der Nachhaltigkeit» entspricht.

Literaturverzeichnis

Bürgi, Cristina: Quartierbewohner finanzieren neuen Bioladen in Zürich. In: nachhaltigleben, o.J., URL: https://www.nachhaltigleben.ch/news/bioladen-zuerich-bewohner-investieren-in-neues-quartiergeschaeft-2894 (Abgerufen: 27.08.2018).

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Das Lamm: Leitbild, URL: https://daslamm.ch/das-ist-lamm/leitbild/ (Abgerufen: 27.08.2018).

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Grober, Ulrich: Modewort mit tiefen Wurzeln. Über die langsame Entdeckung der Nachhaltigkeit. In: Kai Mitschele und Sabine Scharf (Hg.): Werkbegriff Nachhaltigkeit. Resonanzen eines Konzepts. Bielefeld: transcript 2013, 13–37.

Hartmann, Kathrin: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. München 2009.

Lexikon der Nachhaltigkeit: Greenwashing, URL: https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/greenwashing_1710.htm (Abgerufen: 27.08.2018).

Nachhaltigleben: Kampf gegen Food Waste, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/food/food-waste/food-waste-zuerich-soll-vorbild-bei-der-bekaempfung-werden-3204 (Abgerufen: 27.08.2018).

Nachhaltigleben: Teilhabe an nachhaltiger Performance, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/finanzen/teilhaben-an-nachhaltiger-performance-4553?campID=nat_pa_nachhaltigleben_teaser_1808_nachhaltigkeit (Abgerufen: 27.08.2018).

Nachhaltigleben: Über uns, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/ueber-uns-98 (Abgerufen: 27.08.2018).

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Rohland, Regina: Neues Zuhause für Wildbienen mitten in Zürich. In: nachhaltigleben, o.J., URL: https://www.nachhaltigleben.ch/news/wildbienen-neue-zuhause-foerdern-artenvielfalt-in-zuerich-3294 (Abgerufen: 27.08.2018).

Rösemeier-Buhmann, Jürgen: Urban Gardening: Werden sie zum Stadtgärtner. In: nachhaltigleben, o.J.a, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/food/urban-gardening-schweiz-wo-es-in-basel-bern-und-zuerich-gruent-3289 (Abgerufen: 27.08.2018).

Rösemeier-Buhmann, Jürgen: Diese Restaurants in Zürich kochen regional und saisonal. In: nachhaltigleben, o.J.b, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/food/region/saisonal-und-regional-essen-in-zuerich-bieten-diese-restaurants-4038 (Abgerufen: 24.11.2018).

Sasse, Olivia: Schickes aus zweiter Hand: Second-Hand-Shops in Zürich. In: nachhaltigleben, 07.06.2018a, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/mode/second-hand/second-hand-shops-der-schweiz-im-ueberblick-3676 (Abgerufen: 27.08.2018).

Sasse, Olivia: Schüler präsentieren Miniunternehmen in Zürich. In: nachhaltigleben, 10.04.2018b, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/news/schueler-praesentieren-ihre-miniunternehmungen-in-zuerich-4402 (Abgerufen: 27.08.2018).

Schilliger, Michael: Wieso die neue Fahrplananzeigetafel im HB Zürich so gefährlich ist. In: Das Lamm, 07.12.2015a, URL: https://daslamm.ch/wieso-die-neue-fahrplananzeigetafel-im-hb-zurich-so-gefahrlich-ist/ (Abgerufen: 27.08.2018).

Schilliger, Michael: Wir werden weggentrifiziert. In: Das Lamm, 30.12.2015b, URL: https://daslamm.ch/wir-werden-weggentrifiziert/ (Abgerufen: 25.11.2018).

Similarweb: daslamm.ch, URL: https://www.similarweb.com/website/daslamm.ch (Abgerufen: 27.08.2018).

Similarweb: nachhaltigleben.ch, URL: https://www.similarweb.com/website/nachhaltigleben.ch (Abgerufen: 27.08.2018).

Tiefenbacher, Alexandra: Die 10 besten Shoppingtipps für Leute, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie im H&M einkaufen. In: das Lamm, 08.01.2016a, URL: https://daslamm.ch/die-10-besten-shoppingtipps-fur-leute-die-ein-schlechtes-gewissen-haben-wenn-sie-im-hm-einkaufen/ (Abgerufen: 27.08.2018).

Tiefenbacher, Alexandra: Mit diesen 5 Tipps gelingt dir der Start in die urbane Gartensaison. In: das Lamm, 05.04.2016b, URL: https://daslamm.ch/mit-diesen-5-tipps-gelingt-dir-der-start-in-die-urbane-gartensaison-wer-bis-am-schluss-liesst-kann-etwas-gewinnen/ (Abgerufen: 27.08.2018).

Vereins-Wiki: Liga der aussergewöhnlichen Montagsmailer, o.J., URL: http://vereins.wikia.com/wiki/Liga_der_aussergew%C3%B6hnlichen_Montagsmailer (Abgerufen: 27.08.2018).

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Screenshot von der nachhaltigleben-Startseite, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/ (Abgerufen: 25.11.18).

Abb. 2: Screenshot von der Lamm-Startseite, URL: https://daslamm.ch/ (Abgerufen: 25.11.18).

Abb 3: Logo von das Lamm, URL: https://www.facebook.com/montagsmailer/ (Abgerufen: 27.08.2018).

Abb. 4: Logo von nachhaltigleben, URL: https://www.nachhaltigleben.ch/ueber-uns-98 (Abgerufen: 27.08.2018).