Urbane Kulturen der Nachhaltigkeit
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«Gemüse-Vernissagen» als gemeinschaftliche Nachhaltigkeits-Events

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(Nicht nur) Essen verbindet:
Gemüse-Vernissagen als gemeinschaftliche Nachhaltigkeits-Veranstaltungen

von Stephan Witzel

Haben Sie von einer Sonnenblume schon einmal den Blütenboden gegessen? Das heisst, das «Runde», das «Dunkle»? Nein? Ich auch nicht – bis zum 28. Juni 2018 jedenfalls. An diesem Tag besuchte ich nämlich eine «Gemüse-Vernissage» mit Maurice Maggi im BachserMärt Seefeld. Das Thema des Abends lautete: «Die Üppigkeit – Und Rares wie Sonnenblumenköpfe». – Wie mir die Blütenböden geschmeckt haben? Das verrate ich nicht. Auf das blumige Geschmackserlebnis werde ich nachfolgend nicht eingehen (ein «Spoilern» im kulinarischen Sinne wird also nicht stattfinden). Hingegen orientiere ich mich am Folgenden: Die kulturwissenschaftliche Forschung zeigt, dass im Zusammenhang mit urbanen Kulturen der Nachhaltigkeit das Erleben von Gemeinschaft eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Fenske 2017, 233). Darauf Bezug nehmend, möchte ich im Folgenden untersuchen, wie sich mit Blick auf die Gemüse-Vernissagen «das Gemeinschaftliche» charakterisieren lässt.

Eine Ausstellung von oder mit Gemüse?
«Jeden zweiten Donnerstag feiern und zelebrieren wir ein Gemüse im BachserMärt Seefeld. Jedes ist ein Kunstwerk.» Unter diesem Motto, so kann man dem Veranstaltungs-Flyer entnehmen, finden die Gemüse-Vernissagen jeweils ab 19:30 Uhr statt. «Es wird erzählt, erklärt, ausprobiert, gegessen und getrunken», heisst es seitens des BachserMärts weiter. Der Mann des Abends ist wohl unbestritten Maurice Maggi, und zwar jener Maurice Maggi, der «durch seine Gestaltung des Stadtbilds von Zürich mit liebevoll wild gesäten Malven» bekannt geworden sei, wie der Flyer informiert. – «So weit, so gut; klingt interessant», dachte ich mir, als ich einen Flyer zu den Gemüse-Vernissagen in die Hände bekam. Doch fragte ich mich zugleich, worum es sich bei diesem Format «Gemüse-Vernissage» denn nun eigentlich handelt.
Um dies herauszufinden, besuchte ich zwei Vernissagen: die bereits genannte vom 28. Juni 2018, bei der es um die Üppigkeit und Rares wie Sonnenblumenköpfe ging, und diejenige vom 6. September 2018, bei der reife Tomaten und Bohnen thematisiert wurden. Um weitere Informationen zu erhalten, führte ich zwischen dem 28. Juni und dem 6. September ausserdem Gespräche mit verschiedenen Personen: Ich unterhielt mich mit Maurice Maggi, der «Galionsfigur» der Gemüse-Vernissagen. Seitens des BachserMärts erklärten sich Carsten Hejndorf, der Geschäftsführer, und Andrea Knobel, die Assistentin, zu einem Gespräch bereit. Darüber hinaus sprach ich mit insgesamt vier Vernissagen-Teilnehmer/innen.
Während der Beschäftigung mit den gewonnenen Gesprächsaussagen sowie ausgehend von meinen eigenen Vernissagen-Eindrücken fiel mir auf, dass die Gemüse-Vernissagen durch ein «Teilen» charakterisiert sind, das auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Das Teilen bezieht sich dabei sowohl auf «Konkretes», das heisst auf Greifbares wie Essen, als auch auf «Abstraktes» wie beispielsweise Wertehaltungen. Nach und nach erhärtete sich die ursprüngliche Vermutung, den Gemeinschafts-Aspekt durch eine Perspektive beschreiben zu können, die sich am Begriff des Teilens orientiert. Dass das Einnehmen dieser Perspektive vielversprechend ist, wird deutlich, sofern man die soziale und die sozialwissenschaftliche Relevanz des Teilens berücksichtigt. So erwähnt beispielsweise Wolfgang Sützl in Teilen. An der Grenze des Tausches unter anderem das Folgende: «Im Teilen liegt die eigentliche Möglichkeit des Seins-mit-Anderen, des Miteinanders. Es [das heisst das Teilen, S.W.] bildet jene Grenze des Tausches, an der die Frage nach Gemeinschaft mit anderen gestellt werden kann» (Sützl 2017, 22). Insofern wird dem Konzept des Teilens nachfolgend eine Schlüsselrolle zukommen. Doch weiten wir zunächst das Blick‑ beziehungsweise das Begriffsfeld und gehen wir kurz auf eine Art des «Teil-Seins» ein: Schauen wir, inwiefern die Gemüse-Vernissagen selbst in ein grösseres Umfeld eingebettet sind.

Netzwerke der Nachhaltigkeit
Die Gemüse-Vernissagen finden selbstverständlich nicht im luftleeren Raum statt. Sie werden vom BachserMärt veranstaltet, wobei es sich um ein Unternehmen handelt, das verschiedene Filialen betreibt: den Dorfladen in Bachs, den Städtliladen in Eglisau und die Stadtzürcher Quartierläden in Albisrieden, in der Kalkbreite und im Seefeld (vgl. Homepage BachserMärt). Ein zentrales Anliegen des BachserMärts ist, Beziehungen zwischen Produzierenden, Liefernden, Handelnden und Kaufenden zu pflegen; zu «netzwerken» hat einen hohen Stellenwert. Unter diesen Vorzeichen ist im Zusammenhang mit den Gemüse-Vernissagen auf den Landwirtschaftsbetrieb SlowGrow hinzuweisen, der mit dem BachserMärt beispielsweise im folgenden Sinne kooperiert: Einerseits liefert SlowGrow spezielle Produkte für die Gemüse-Vernissagen; anderseits wirbt der BachserMärt sowohl auf den Vernissagen-Flyern als auch auf seiner Homepage für besagten Betrieb.
Diese Form der Kooperation ist jedoch bloss ein Ausschnitt eines grösseren Netzes, in das der BachserMärt verflochten ist. So finden beispielsweise in der BachserMärt-Filiale in der Kalkbreite Veranstaltungen von SobreMesa statt, einer Plattform, die Gastro-Workshops anbietet. Dort tritt der BachserMärt allerdings nicht als Organisator auf; er stellt «lediglich» einen Raum zur Verfügung. Alle drei genannten Akteure stehen ausserdem mit Slow Food Schweiz in Verbindung. Auf diesen Sachverhalt machte mich eine Vernissagen-Teilnehmerin aufmerksam, die ihrerseits die in Winterthur beheimatete Koch-Werk-Statt mitbegründete, dort nach wie vor mitwirkt und über ihre Mitgliedschaft bei Slow Food Schweiz auch den Gründer von SlowGrow kennenlernte. Es ist somit offensichtlich: Je weiter man das Blickfeld öffnet, desto mehr Knotenpunkte eines weitgespannten einschlägigen Netzwerkes werden sichtbar, mit welchen allen der BachserMärt mehr oder weniger direkt verknüpft ist.
In dieses hier nur ansatzweise nachgezeichnete Beziehungsgeflecht sind gewissermassen auch die Gemüse-Vernissagen eingebettet, die in einer Filiale des BachserMärts stattfinden und bei denen der BachserMärt als Organisator auftritt. Das Anbieten und Durchführen von Veranstaltungen wie den Gemüse-Vernissagen ist Carsten Hejndorf zufolge jedoch ein relativ neuer Bereich für den BachserMärt; es stellt kein «klassisches» Geschäftsfeld dar. Gleichwohl ist hervorzuheben, dass die zweite Gemüse-Vernissage, die ich besuchte (das heisst diejenige vom 6. September), bereits den Beginn der dritten Vernissagen-Staffel markierte.

Über das Format «Gemüse-Vernissage»
Die Gemüse-Vernissagen finden jeweils in der BachserMärt-Filiale statt, die sich im Zürcher Seefeld an der Seefeldstrasse 29 befindet (vgl. Anm. 1).

Abb. 1: Die BachserMärt-Filiale an der Seefeldstrasse 29.

Abb. 1: Die BachserMärt-Filiale an der Seefeldstrasse 29.

Bevor die Teilnehmer/innen eintreffen, werden seitens des BachserMärts Vorbereitungen getroffen: Auf einer speziellen Art von Tisch werden unter anderem die Produkte bereitgestellt, die thematisiert oder auch zur Schau gestellt werden. Auf den Tisch ausgerichtet, werden ausserdem Hocker positioniert.

Abb. 2: Kurz vor Beginn der Gemüse-Vernissage vom 6. September 2018.

Abb. 2: Kurz vor Beginn der Gemüse-Vernissage vom 6. September 2018.

Eine Gemüse-Vernissage ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt, der als Präsentationsabschnitt bezeichnet werden kann, liegt die Führung bei Maurice Maggi. Nach einer freundlichen Begrüssung steigt er sogleich in das Thema des Abends ein. Er liefert Informationen zu den ausgewählten Produkten, erklärt die Speisen, die er daraus im Vorfeld hergestellt hat, und berichtet über die Zubereitungsweisen derselben. Während des Präsentationsabschnittes sitzen die Teilnehmer/innen auf den Hockern und folgen aufmerksam den Ausführungen von Maurice Maggi. Davon abgesehen, herrscht eine eigentümliche Ruhe. Die Beobachtung, dass dies ein wenig wie «eine andächtige Stille» wirke, äusserte eine Teilnehmerin; sie räumte aber ein, dass das «ein wenig übertrieben» sei. Mich erinnerte die Stimmung während eines Präsentationsabschnittes an eine «klassische» Schulstunde, in der ein Lehrer «seinen» Schülerinnen und Schülern etwas erklärt.

Abb. 3: Maurice Maggi während des Präsentationsabschnittes am 28. Juni 2018.

Abb. 3: Maurice Maggi während des Präsentationsabschnittes am 28. Juni 2018.

Die Situation ändert sich mit dem Übergang vom Präsentationsabschnitt zum zweiten Abschnitt, der als Verkostungsabschnitt bezeichnet werden kann. Maurice Maggi einerseits beendet seine Ausführungen und lädt dazu ein, sich am «Buffet» zu bedienen; die Teilnehmer/innen anderseits erheben sich von den Hockern, um dieser Einladung nachzukommen.
Obschon dieser Übergang zwischen dem Präsentations- und dem Verkostungsabschnitt auf den ersten Blick nicht spektakulär zu sein scheint, lohnt es sich, an dieser Stelle kurz innezuhalten. Mit Bezug auf Ausführungen von Erika Fischer-Lichte in Performativität. Eine Einführung lässt sich nämlich das Folgende festhalten: Einerseits kann das Agieren von Maurice Maggi als ein performativer Akt angesehen werden in dem Sinne, wie er im Bereich der Sprechakttheorie von John Langshaw Austin geprägt wurde. Mit der Äusserung von Maurice Maggi wird nämlich «ein neuer Sachverhalt geschaffen» (Fischer-Lichte 2016, 38): man darf sich an den dargebotenen Speisen nun bedienen. Anderseits kann das Agieren der Teilnehmer/innen in Anlehnung an Judith Butlers Auffassung von Performativität als performatives Handeln interpretiert werden. Durch körperliches Handeln entsteht nämlich «soziale Wirklichkeit» (Fischer-Lichte 2016, 41): demnächst wird zusammen gespeist. Die beiden genannten Aspekte markieren eine deutliche und nicht zu vernachlässigende Zäsur zwischen dem Präsentations- und dem Verkostungsabschnitt.
Sobald derselbe beginnt, bedienen sich die anwesenden Personen an den dargebotenen Speisen; nun wird zusammen gegessen und probiert. Diesbezüglich fiel mir bei meinen Vernissagen-Besuchen auf, mit welcher kulinarischer Sensibilität die dargebotenen Speisen verkostet werden. Es wird nicht «gefooded» – nein, die Gerichte werden von den Besucher/innen genüsslich, stets aufmerksam, zurückhaltend und beinahe schon bedächtig und behutsam zu sich genommen. Die dabei an den Tag gelegte Feinfühligkeit sowie das enorme Interesse an einzelnen Facetten oder Nuancen einer Speise erstaunten mich. Dabei hatte ich keineswegs das Gefühl, dass dieses Verhalten aufgesetzt oder künstlich ist. Es entstand der Eindruck, mich unter Menschen zu befinden, denen bewusster und wertschätzender Konsum wirklich am Herzen liegt. Neben dieser Einschätzung darf aber nicht übersehen werden, dass primär Essen geteilt wird, dass zusammen gegessen wird. «Essen verbindet», erwähnte diesbezüglich auch Maurice Maggi und er fuhr fort: «Essen ist etwas Gemeinschaftliches. Und wenn man so um einen Tisch herumsteht und zusammen probiert, dann entsteht für einen kurzen Moment das Gefühl, dass man zusammen an etwas teilnimmt.» Insofern ist hinsichtlich der Gemeinschaftsbildung der Aspekt des gemeinsamen Essens von grösster Wichtigkeit. Während des Verkostungsabschnittes wird jedoch nicht nur Essen miteinander geteilt – es wird auch Privates geteilt beziehungsweise mitgeteilt.

Privates einbringen? – Nicht unerwünscht!
Bei meinen Vernissagen-Besuchen fiel mir auf, wie sich Personen zuweilen mehr oder weniger offen kulinarische Geschmacksvorlieben oder -abneigungen mitteilten und einander an denselben teilhaben liessen. Dieser Aspekt ist bemerkenswert. In Essen und das Reden vom Essen als Formen sozialer Gewalt erwähnt Albert Wirz nämlich unter anderem, dass «das Reden übers Essen (…) immer auch ein Diskurs über Werte, über Gut und Böse, richtig und falsch [ist]» (Wirz 2001, 275; vgl. dazu auch Jeggle 2008, 187f.). Zu äussern, dass man eine Speise mag oder eben nicht mag, kann so gesehen als etwas interpretiert werden, über das man sich in «öffentlichen Kontexten» eigentlich ausschweigen würde – über Essen zu reden, kann gewissermassen als ein Austausch über Privates aufgefasst werden. Meinen Eindrücken zufolge ist es nun aber keineswegs kategorisch unangebracht oder gar unerwünscht, an einer Gemüse-Vernissage Privates einzubringen und miteinander zu teilen. So bekam ich verschiedentlich auch mit, dass Teilnehmer/innen von kulinarischen Erfahrungen aus ihrer Kindheit erzählten. Dies fällt auch Andrea Knobel auf, die seitens des BachserMärts bei den Gemüse-Vernissagen jeweils anwesend ist und dort als eine Art Gastgeberin fungiert: Ihr zufolge könne man hie und da sogar etwas über die Herkunft eines/r Teilnehmer/in erfahren. In diesem Zusammenhang verwundert es also nicht, dass hinsichtlich der Charakterisierung der Gemüse-Vernissagen eine Teilnehmerin äusserte: «Es ist sehr familiär. Es ist sehr gemütlich.»
Neben Inhalten, über die während einer Gemüse-Vernissage mehr oder weniger offen gesprochen wird, sind ebenso Aspekte erwähnenswert, die in diesem Kontext nicht explizit erwähnt werden, die während einer Vernissage unausgesprochen bleiben. So konnte ich Haltungen bezüglich des Konzepts «Nachhaltigkeit» erst durch die Gespräche in Erfahrung bringen, die ich zwischen den beiden besuchten Gemüse-Vernissagen führte. Dabei äusserte Maurice Maggi die markanteste Haltung: Ihm zufolge ist das Wort «nachhaltig» in «unserer Gesellschaft ein wenig ausgelutscht worden»; es wird seiner Meinung nach «für viel zu viele Sachen benutzt». Er hingegen zieht es vor, von «ein[em] vernünftige[n] Umgang mit Ressourcen» zu sprechen. Unter diesem «Etikett» lassen sich denn auch verschiedene Facetten von «Nachhaltigkeit» zusammenfassen, die meine Gesprächspartner/innen im Rahmen meiner Interviews äusserten. So sind für alle von ihnen landwirtschaftliche Anbaumethoden relevant, die als schonungsvoll oder auch biologisch bezeichnet werden können. Ausserdem erwähnte eine Gesprächspartnerin, dass es wichtig sei, auf den ökologischen Fussabdruck zu achten (vgl. dazu auch Neckel 2018, 67), was sich mit dem Stichwort «Öko-Bilanz» oder auch mit energetischen Aspekten in Verbindung bringen lässt. In diesem Zusammenhang legen verschiedene Interviewpartner/innen auch Wert auf die Regionalität von Produkten. Darüber hinaus liegt ihnen das Thema «Food Waste» beziehungsweise demselben entgegenzuwirken am Herzen. – Kurz: Mit Blick auf ihr Verständnis von «Nachhaltigkeit» konnte ich bei meinen Gesprächspartner/innen viele Übereinstimmungen erkennen; sie teilen offenbar vergleichbare Wertehaltungen oder Einstellungen. Dies bemerkte auch eine Teilnehmerin: Im Rahmen unseres Gesprächs bezeichnete sie die Gemüse-Vernissagen als Veranstaltungen unter «Gleichgesinnten».
Auf den Aspekt der gleichen Gesinnung einzugehen, bietet sich des Weiteren an, wenn man nach den Motivationen für die Teilnahme an den Vernissagen fragt: Übereinstimmend äusserten die Teilnehmer/innen im Gespräch grosses Interesse an Themen wie «Essen» und «Ernährung» sowie «Kochen» und «Kulinarik». Ausserdem interessieren sich die genannten Personen dafür, im kulinarischen Bereich dazuzulernen; bei den Gemüse-Vernissagen Wissen zu erhalten, stellt einen wesentlichen Beweggrund dar. Das Verlangen nach Wissen wird durch Maurice Maggi gestillt – die Plattform dazu wird vom BachserMärt bereitgestellt. Derselbe führt die Gemüse-Vernissagen durch, um die Filiale im Seefeld zu beleben. Carsten Hejndorf zufolge wollten sie «dieses alte, verstaubte Bioladen-Image» loswerden. Das Beleben bezieht sich dabei sowohl auf die Filiale als auch auf die Kundschaft. Beide Seiten merkten nämlich, «dass da etwas Besonderes stattfindet»; dass da «etwas geht». In diesem Zusammenhang erwähnte Carsten Hejndorf aber auch, dass das Format «Gemüse-Vernissage» die Marke «BachserMärt» selbst dann belebt, wenn «Leute vielleicht gar nicht selber hingehen». Auch das Registrieren des Anlasses seitens solcher Leute trage nämlich zum Bild eines aktiven und engagierten Unternehmens bei. Ferner verfolgt der BachserMärt das Ziel, eine produkteorientierte Positionierung nach aussen zu tragen und eine Art emotionaler Kundenbindung zu schaffen (vgl. Pétursson 2018, 582). Neben diesen strategischen Aspekten hoben Carsten Hejndorf und Andrea Knobel aber auch hervor, dass ihnen der Kontakt mit der Kundschaft sehr wichtig sei. Zudem betonten sie, dass ihnen persönlich und sozusagen auch dem BachserMärt das Anbieten der Gemüse-Vernissagen Freude bereite.

Eine Gemeinschaft, die mehr als Essen miteinander teilt
Das Empfinden von Freude spielt im Zusammenhang mit den Gemüse-Vernissagen allgemein eine wichtige Rolle. So äusserten auch alle Teilnehmer/innen, mit denen ich mich unterhielt, dass die Vernissagen bei ihnen Freude auslösten. Die Gemüse-Vernissagen können somit durchaus auch als hedonistisch geprägte Zusammenkunft betrachtet werden (vgl. Bachmann 2013, 167). Dieser Eindruck ist nicht sonderlich überraschend, wenn man berücksichtigt, welcher Stellenwert der Kulinarik und dem Essen an einer solchen Veranstaltung zukommt. «Das Gemeinschaftliche» einer Gemüse-Vernissage wird denn auch massgeblich durch das gemeinsame Essen geprägt. Die von mir bereits zitierte Feststellung Maurice Maggis, dass eben das «Essen verbindet», findet ihre Entsprechung auch in der Ernährungssoziologie. So behandelt beispielsweise Eva Barlösius in ihrer Soziologie des Essens nicht zuletzt auch, wie «Essen Nähe und Distanz schafft» (Barlösisus 1999, 7).
Wenn man will, könnte man das Nähe schaffende gemeinsame Essen auch als eine besondere Form des «Do-it-together» auffassen, welches in der kulturwissenschaftlichen Forschung als charakteristische Vergemeinschaftungsform postmaterialistischer Nachhaltigkeitsinitiativen bezeichnet wird. Wie die Kulturanthropologin Maria Grewe in einem Beitrag über Repair Cafés beschreibt, entstehe durch das gemeinsame Tun eine spezifische, zeitlich meist begrenzte und unverbindliche «Community of Practice» (vgl. Grewe 2015, 283f.). Mit Blick auf die Gemüse-Vernissagen besteht diese Praxis gewissermassen im Teilen. In erster Linie werden die im Vorfeld von Maurice Maggi zubereiteten Speisen miteinander geteilt, was – um ein weiteres Konzept aus dem Bereich der kulturwissenschaftlichen Nachhaltigkeitsforschung ins Spiel zu bringen – als eine Form des «Sharings» interpretiert werden könnte (vgl. Sützl 2017, 28f.). Hinsichtlich der Gemüse-Vernissagen bietet es sich so gesehen auch an, von einer «Community of Sharing» zu sprechen. Für diese Lesart spricht zudem, dass an den Gemüse-Vernissagen wie gezeigt neben dem gemeinsamen Essen auch ein Teilen von abstrakten Inhalten wie beispielsweise Freude, Erinnerungen oder Werten stattfindet.
Meine eingangs des Artikels formulierte Forschungsfrage, um welche Art von Gemeinschaft es sich bei diesen Vernissagen handelt, könnte also in dem Sinne beantwortet werden, dass es sich um eine Community of Practice oder eine Community of Sharing handle. Diese Charakterisierungen sind soweit nachvollziehbar. Will man jedoch den Aspekt der gleichen Gesinnung noch stärker in den Fokus rücken, bietet sich wohl der Begriff der «Community of Peers» als überzeugendste Bezeichnung an (vgl. Baier 2016, 34). Diese Terminologie bietet nämlich zwei bedeutende Vorteile: Erstens schliesst der Peers-Aspekt weder den Practice- noch den Sharing-Aspekt aus; und zweitens wird die gewählte Charakterisierung dem Umstand gerecht, dass im Zusammenhang mit den Gemüse-Vernissagen das Teilen von abstrakten Inhalten eine wesentliche Rolle spielt. Dieses Teilen führt neben dem gemeinsamen Essen zu Verbindungen zwischen den anwesenden Personen. Mit Blick auf die Gemüse-Vernissagen von einer Community of Peers zu sprechen, mag so gesehen meine Frage am besten zu beantworten.

Anmerkungen

Anm. 1: Dort befand sich früher der Quartierladen Paradiesli.

Literaturverzeichnis

Bachmann, Andreas: Hedonismus und das gute Leben. Münster: Mentis, 2013.

Baier, Andrea, Tom Hansing, Christa Müller u.a.: Die Welt reparieren: Eine Kunst des Zusammenmachens. In: Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller u.a. (Hg.): Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis. Bielefeld: Transcript, 2016, 34–62.

Barlösius, Eva: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung (Grundlagentexte Soziologie). Weinheim: Juventa, 1999.

Fenske, Michaela: Historisches Wissen als Ressource. Wie das urbane Kreativmilieu mit Vergangenheit Zukunft (selbst-)macht. In: Nikola Langreiter und Klara Löffler (Hg.): Selber machen. Diskurse und Praktiken des »Do it yourself« (Edition Kulturwissenschaft, Bd. 90). Bielefeld: Transcript, 2017, 221–243.

Fischer-Lichte, Erika: Performativität. Eine Einführung (Edition Kulturwissenschaft, Bd. 10). 3. Aufl. Bielefeld: Transcript, 2016 (2012).

Grewe, Maria: Reparieren als nachhaltige Praxis im Umgang mit begrenzten Ressourcen? Kulturwissenschaftliche Notizen zum »Repair Café«. In: Markus Tauschek und Maria Grewe (Hg.): Knappheit, Mangel, Überfluss. Kulturwissenschaftliche Positionen zum Umgang mit begrenzten Ressourcen. Frankfurt a.M.: Campus, 2015, 267–289.

Homepage BachserMärt, URL: https://www.bachsermaert.ch (Abgerufen: 29.11.2018).

Jeggle, Utz: Essgewohnheit und Familienordnung. Was beim Essen alles mitgegessen wird. In: Reinhard Johler und Bernhard Tschofen (Hg.): Empirische Kulturwissenschaft. Eine Tübinger Enzyklopädie. Ein Reader des Ludwig-Uhland-Instituts (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen, Bd. 100). Tübingen: Tübinger Vereinigung für Volkskunde, 2008, 187–201.

Neckel, Sighard: Ökologische Distinktion. Soziale Grenzziehung im Zeichen von Nachhaltigkeit. In: Sighard Neckel, Natalia Besedovsky, Moritz Boddenberg u.a. (Hg.): Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit. Umrisse eines Forschungsprogramms (Sozialtheorie). Bielefeld: Transcript, 2018, 59–76.

Pétursson, Jón Þór: Organic intimacy: emotional practices at an organic store. In: Agriculture and Human Values 35 (2018), 581–594.

Sützl, Wolfgang: Teilen. An der Grenze des Tausches. In: Klaus-Dieter Lehmann, Johannes Ebert, Andreas Ströhl u.a. (Hg.): Teilen und Tauschen (Fischer Taschenbuch, 29809). Frankfurt a.M.: Fischer, 2017, 21–29.

Wirz, Albert: Essen und das Reden vom Essen als Formen sozialer Gewalt. In: Gerhard Neumann, Alois Wierlacher und Rainer Wild (Hg.): Essen und Lebensqualität. Natur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven (Kulturthema Essen, Bd. 3). Frankfurt a.M.: Campus, 2001, 275–294.

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Fotografie von Stephan Witzel, Zürich, September 2018.

Abb. 2: Fotografie von Stephan Witzel, Zürich, September 2018.

Abb. 3: Fotografie von Stephan Witzel, Zürich, Juni 2018.